Zweiter Gießener Kongress zu den Sterbebedingungen in Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen – Resümee und Ausblick

Alle Experten sind sich dahingehend einig, dass die zentrale Herausforderung darin besteht, eine bestmögliche Betreuung Sterbender unabhängig des Sterbeortes zu gewährleisten. Dies kann nur gelingen, wenn die damit verbundenen psycho-sozialen und medizinisch-pflegerischen Prozesse sektoren- und bereichsübergreifend organisiert werden. Es gibt jedoch nur wenige empirische Studien zur aktuellen Versorgungsqualität in den Pflegeeinrichtungen, obwohl dort ca. 30 % aller Menschen versterben. Der kürzlich an der Justus-Liebig-Universität in Gießen vom TransMIT-Projektbereich für Versorgungsforschung ausgerichtete 2. Kongress „Sterben im Krankenhaus und stationären Pflegeeinrichtungen“ berichtete von der gegenwärtig erreichten Ergebnisqualität sowie den korrespondierenden Problemlagen und Hindernissen. Durch interprofessionelle Referate, Podiumsdiskussionen und nicht zuletzt dem intensiven Austausch mit dem Fachpublikum wurden darüber hinaus praktikable Lösungen anhand guter Beispiele und sinnvoller Methoden des Qualitätsmanagements erörtert. Die nachfolgenden zentralen Aussagen des Tages bilden Resümee und Ausblick zugleich:

Der Kongress stand unter der Schirmherrschaft von Dr. Helge Braun, Berlin (Staatsminister im Kanzleramt), der betonte, dass bei allem bestehenden Entwicklungsbedarf das hohe Niveau des Erreichten nicht übersehen werden sollte. Gerade der Blick in die Krisenregionen der Welt ermahne zur Umsicht und Kooperation aller Beteiligten. Sein Dank richtet sich an diejenigen, die sich täglich für die Versorgung Sterbender einsetzen. Die Universität sieht sich nach Einschätzung von Prof. Peter Schreiner, Gießen (Vizepräsident JLU-Universität) in einer langen Tradition der Lebenswissenschaften und es sei klar, dass zu diesen auch das Sterben und der Tod gehörten. Nie seien die Voraussetzungen in unserer Gesellschaft besser gewesen, den Menschen einen würdevollen Tod im Kreis der Familie zu ermöglichen.

Kordula Schulz Asche, Berlin (Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag) berichtet, dass in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen anders als von vielen gewünscht verstorben wird. Aus beiden stationären Settings erhalte sie Problemanzeigen, auf die politisch reagiert werden muss. Neben der Verbesserung dieser Rahmenbedingungen ist der Dreh- und Angelpunkt für die Umsetzung von Veränderungen vor Ort die Beteiligung aller: der Beschäftigten aus Pflege und Ärzteschaft, der Bewohner und Angehörigen, der Leitung und externer Kooperationspartner. Die meisten Menschen sterben nach Aussage von Dr. Birgit Weihrauch, Düsseldorf (Deutscher Hospiz und Palliativverband) nach einer längeren Zeit der Pflegebedürftigkeit aufgrund chronischer Mehrfacherkrankungen. Vor diesem Hintergrund ist der „Transfer von Hospizkultur und Palliativkompetenz“ in die Einrichtungen der Regelversorgung eine große Herausforderung. Unter den Begriffen der ‚Zugangsgerechtigkeit‘ und ‚Letztverlässlichkeit‘ setzen die Charta und die Nationale Strategie zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen entscheidende Akzente.

Hospizkultur und Palliative Care gewinnen nach Aussage von Prof. Dr. Elisabeth Reitinger, Klagenfurt (Alpen-Adria Universität) in österreichischen Alten- und Pflegeheimen an Bedeutung: Dies mache es notwendig, Kulturen für ein gutes Leben und ein gutes Sterben zu entwickeln. Die Referentin berichtet vom Ausbau hospizlicher und palliativer Kultur, stellt die Wurzeln der Entwicklung, die Bedeutung von Fort- und Weiterbildung dar und betont, dass Kulturveränderung immer mit Organisationsentwicklung verknüpft ist. Zukünftig müsse noch stärker auf europäische Vernetzung gesetzt werden. „Über 2000 Mitarbeiter aus annähernd 467 Einrichtungen wurden 2014 zu deren Einschätzung zur erreichten Versorgungsqualität deutschlandweit befragt“. So lautete die Eröffnung des Vortrages von Prof. Dr. Wolfgang George, Gießen (TransMIT-Projektbereich für Versorgungsforschung). Verwendet wurde ein Screeningverfahren, das sowohl die psycho-soziale als auch die pflegerisch-medizinische Qualität ermittelt. Die Ergebnisse zeigen eine insgesamt problematische Situation, die vielerorts durch unzureichende Angehörigenintegration, fehlende Kooperation und unzulängliche Kommunikation und Information – neben dem erneut bestätigten Ressourcenproblem – gekennzeichnet ist.

Prof. Dr. Rainer Röhrig, Gießen (Universität Oldenburg), beschreibt die besonderen Anforderungen der Intensivmedizin. Deutlich wird in den Ausführungen, wie wichtig ein geregeltes Verfahren ist, das es erlaubt, schwierige Entscheidungssituationen möglichst konsensuell, transparent und reproduzierbar zu erstellen. Hierfür gibt es geeignete Modelle, die zum Einsatz gebracht werden sollten. PD Dr. Andre Banat, Gießen (Gesundheitszentrum Wetterau) beschreibt die Betreuungssituationen als ein Ort unterschiedlicher Interessen. Bisher sind die Bemühungen um eine verbesserte Betreuungskultur und Praxis nur mit unzureichenden Ergebnissen verbunden. Um in dieser Situation eine durch unabhängige Dritte und entlang reproduzierbarer Kriterien definierte Versorgungsqualität zu erreichen, ist das Deutsche Qualitätssigel entwickelt worden. Es gehe darum, Einrichtungen mit einer guten Versorgung auszuzeichnen und solche auf dem Weg dorthin zielgeleitet zu unterstützen. Der Versorgungsauftrag der Pflegeheime beschränkt sich nicht auf medizinische oder körperlich pflegerische Leistungen. Die Annahme des Anderen und hier des betagten körperlich und geistig Erkrankten erfährt nur dann einen stabilisierenden Faktor, wenn der Mensch in seinem Sosein angenommen wird. Hier liegt auch der Charakter der hospizlichen Haltung, die im Polylog von Wissenschaft und Praxis in Organisationen, die sich um schwache und alte Menschen kümmern, nur dann erfahrbar wird, wenn die ethische Dimension Berücksichtigung findet. Wie müssen sich Organisationen verändern, um den Ansätzen des hospizkulturellen Auftrages gerecht zu werden, reflektierte Gerda Graf, Düren-Jülich (Wohnanlage Sophienhof) und zeigt, wie das Versprechen eingelöst werden kann.

Nach wie vor erreichen Claus Fussek, München (Vereinigung Integrationsförderung) fast täglich unerträgliche, dramatische und erschütternde Berichte von verzweifelten Pflegekräften und Angehörigen. Sterben ist in zahlreichen Einrichtungen Deutschlands nach wie vor würdelos und grausam. Es wissen fast alle Bescheid, die in der Pflege tätig sind. In vielen Heimen und Kliniken wird weit entfernt von einer würdevollen Hospizkultur, einer guten pflegerischen und palliativ geriatrischen Versorgung gehandelt. Pflegeheime ohne Hospiz- und Palliativkultur, ohne palliative ärztliche und pflegerische Versorgung dürfen keinen Versorgungsvertrag erhalten. Die Kommune hat nach Aussage von Karl-Christian Schelzke, Mühlheim (Hessischer Städte- und Gemeindebund) die Aufgabe, für das Thema "Weggemeinschaft beim Leben und Sterben" zu sensibilisieren, Menschen anzusprechen, zu begleiten, Anerkennung auszusprechen. Die freiwillige Arbeit ist eine unverzichtbare Stütze. Hospizhelferinnen investieren Kraft, Zeit und Liebe für ihre anspruchsvolle Aufgabe. Kommunen müssen mit dazu beitragen, die letzten Tage in der heimatlichen Umgebung zu gestalten.

Die Hausärzte müssen für die Heimbetreuung besser ausgebildet und einbezogen werden, lautet die Zielmarke von Prof. Dr. Jens Papke, Zwickau (Hochschule Zwickau). Der Bedarf an spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) in stationären Pflegeeinrichtungen wächst kontinuierlich. Dieses Modell einer sektorenübergreifenden spezialisierten Versorgung ist ein Lösungsweg. In größeren Pflegeeinrichtungen fehlen spezialisierte Palliativabteilungen mit entsprechender Ausstattung und qualifiziertem Personal. Hauptprobleme sind die zu geringe Qualifizierung der versorgenden Hausärzte, Überlastung, chronischer Personalmangel und Berührungsängste gegenüber Palliativteams. Ähnlich die Aussage von Dr. Eckhard Starke, Offenbach (Hessische Ärztekammer). Trotz nahezu flächendeckender Versorgung durch die spezialisierte Palliativversorgung und Hausärzte sterben viele multimorbide alte Patienten nicht in ihrer gewohnten Umgebung. Einerseits wird die Palliativmedizin eng mit der finalen Versorgung krebskranker Menschen verbunden, andererseits sind die Kriterien der Definition zwischen schwerer Pflegebedürftigkeit und palliativer Versorgung sowohl in der häuslichen als auch in der Heimversorgung unzureichend formuliert. In der Pflege und Ärzteschaft bestehen erhebliche Wissenslücken bei der Ernährung und medikamentösen Therapie am Lebensende. Um würdevolles Sterben möglichst allen Menschen zu ermöglichen, muss die Kooperation zwischen spezialisierten ambulanten Palliativeinheiten, ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten in der Basisversorgung, Krankenhäusern mit und ohne Palliativstationen sowie der Pflege im ambulanten als auch im Heimbereich definiert und verbessert werden.

Dass sich Sterbende neben Schmerzfreiheit auch Einfluss auf ihre Situation und die Entscheidungen ihrer Angehörigen wünschen, ist die Überzeugung von Christine Sowinski, Köln (Kuratorium Deutsche Altenhilfe). Oft führten etwa die Atemprobleme dazu, dass Angehörige Druck ausüben, so dass der Sterbende ins Krankenhaus eingewiesen wird. Das kann, muss aber nicht zu einer Entspannung der Situation beitragen. Die „professionellen“ Helfer müssen unterstützt werden, lautet eine Einschätzung von Lothar Lorenz, Limburg (Hessischer Hospiz und Palliativverband). Der Verband will helfen, dass die Selbstständigkeit des Betroffenen gewahrt bleibt. Nur durch gegenseitige Unterstützung ist dies möglich. Für Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer, Mainz (Universität Gießen) sind die letzen 50 Jahre durch drei Fokussierungen gekennzeichnet:1. Institutionalisierung: Innerhalb eines halben Jahrhunderts ist das Sterben in das Krankenhaus und das Pflegeheim, in kleinem Maße auch in das Hospiz verlagert worden. 2. Dies gehe einher mit einer Medikalisierung des Sterbens. Sterben ohne medizinische Expertise ist fast undenkbar geworden und gerät in den Bereich abweichenden Verhaltens. 3. Ökonomisierung: Die letzten Lebensmonate und Wochen eines Menschen sind heute der teuerste Abschnitt im Leben. Das Lebensende ist medizinisch ein lukratives, zumindest finanziell interessantes Areal geworden. Der entstehende palliative Apparat ist in der Gefahr, aus der heiklen, schwierigen letzten Erfahrung des Menschen ein Projekt zu machen, das den Sicherheits- und Betäubungsbedürfnissen des homo modernissimus entgegenkommt.

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